Einleitung
Die Herausforderungen in der Versorgung Pflegebedürftiger – insbesondere in ländlichen Regionen – nehmen stetig zu. Gleichzeitig rückt die Rolle von Pflegefachpersonen im Gesundheitssystem zunehmend in den Fokus. Vor diesem Hintergrund gewinnt das Pflegekompetenzgesetz, dessen Entwurf im Dezember 2024 vorgelegt wurde, an Bedeutung. Es soll den Pflegeberuf stärken, indem es die eigenverantwortliche Übernahme heilkundlicher Aufgaben ermöglicht und damit einen grundlegenden Perspektivwechsel einleitet. Vor allem die Rolle der sogenannten Community Health Nurses (CHN) steht dabei im Mittelpunkt. Der folgende Artikel beleuchtet die Zielsetzung und Inhalte des Gesetzesentwurfs, potenzielle Einsatzbereiche von CHN, die Voraussetzungen für deren Qualifikation sowie die Herausforderungen und Perspektiven einer erfolgreichen Umsetzung.
Nachdem das Pflegeberufegesetz[1] aus 2020 oder das Pflegestudiumstärkungsgesetz[2] aus 2023 bereits Grundsteine eines neuen Verständnisses von Pflege gesetzt haben, wurde am 18. Dezember 2024 der Gesetzentwurf des Pflegekompetenzgesetzes verabschiedet. Anschließend wurde der Entwurf am 14. Februar 2025 im Bundesrat im ersten Durchgang behandelt. Seitdem befindet sich das Gesetzgebungsverfahren in Bearbeitung.[3]
Ziel des Gesetzes ist es, die Kompetenzen von Pflegefachpersonen um bestimmte heilkundliche Aufgaben zu erweitern, die bislang ausschließlich Ärzten vorbehalten waren. Es wird voraussichtlich tiefgreifende Veränderungen für die Pflegeberufe mit sich bringen – insbesondere im Hinblick auf die Rolle der sogenannten CHN. Dazu gehören unter anderem das Wundmanagement, das Management von Diabetes und Demenz sowie die eigenständige Verordnung von Hilfsmitteln. CHN sollen durch das Gesetz in die Lage versetzt werden, bestimmte heilkundliche Tätigkeiten eigenverantwortlich auszuüben. Damit wird die Berufsrolle von Pflegefachpersonen deutlich gestärkt und in Richtung einer eigenständigen, primärversorgenden Tätigkeit weiterentwickelt.

Was sind die Einsatzbereiche von CHN?
Vor allem in kommunalen oder quartiersbezogenen Versorgungsstrukturen sollen CHN eingesetzt werden. Sie arbeiten niedrigschwellig, aufsuchend und nah an den Menschen – etwa durch Hausbesuche oder Beratungsangebote in lokalen Gesundheitszentren. Ziel ist es, pflegerische Kompetenz direkt in die Lebenswelt der Menschen zu bringen – insbesondere in Regionen mit Hausärztemangel oder bei vulnerablen Bevölkerungsgruppen. Dabei arbeiten sie eng mit Hausärzten sowie weiteren Gesundheitsberufen zusammen, übernehmen aber zunehmend auch koordinierende und beratende Aufgaben eigenständig. Mögliche Einsatzfelder, Versorgungsebenen und Zielgruppen können laut DBfK (2022) wie folgt aussehen:[1]
Mögliche Settings
– Primärversorgungszentren
– In der Häuslichkeit
– Schnittstelle stationäre und ambulante Versorgung
– Public Health geprägter Öffentlicher Gesundheitsdienst
Mögliche Versorgungsebenen
– Fokus „Individualversorgung“
– Fokus „Settingansatz“– Blick auf Rahmenbedingungen und Sozialraum der Versorgten
– Fokus „Public Health“ Bedarfserfassung einer definierten Community und Ableitung geeigneter Interventionen
Mögliche Dialoggruppen
– Kinder und Jugendliche
– Bewohner eines Stadtteils
– Wohnungslose
– Menschen mit Behinderung
– Chronisch Erkrankte
Langfristig verspricht sich der Gesetzgeber von der Reform eine deutliche Entlastung der hausärztlichen Versorgung, der Krankenhäuser sowie der stationären Pflegeeinrichtungen.[5] CHN können durch frühzeitige Interventionen und gezielte Begleitung verhindern, dass sich gesundheitliche Zustände akut verschlechtern und damit unnötige Krankenhausaufenthalte vermieden werden.[6] So tragen sie zur Verbesserung der Versorgungsqualität und zur Stabilisierung pflegebedürftiger Menschen im häuslichen Umfeld bei.
Was sind die Voraussetzungen, um CHN zu werden?
Voraussetzung für die Übernahme dieser erweiterten Aufgaben ist eine entsprechende Qualifikation – etwa durch ein Studium im Bereich Community Health Nursing oder durch eine gesetzlich geregelte Weiterbildung.[7] Gleichzeitig müssen geeignete rechtliche und strukturelle Rahmenbedingungen geschaffen werden, insbesondere in Bezug auf Vergütung, Einbindung in interprofessionelle Teams und digitale Infrastruktur.
Insgesamt bedeutet das Pflegekompetenzgesetz einen Paradigmenwechsel: Pflegefachpersonen sollen künftig nicht nur unterstützend, sondern eigenverantwortlich tätig sein – mit mehr Gestaltungsspielraum und Sichtbarkeit im Gesundheitssystem.
Wie sieht die Umsetzung aus?
Der Weg zu einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung mit CHN ist jedoch noch weit. Ein wesentliches Hemmnis bei der Etablierung ist die weiterhin starre Aufgabenverteilung zwischen den Gesundheitsberufen. Um dies zu überwinden, ist die Übertragung heilkundlicher Aufgaben auf die Profession Pflege von entscheidender Bedeutung. Nur wenn CHN ihren Kompetenzbereich ausweiten und eigenverantwortlich handeln können, lässt sich ihr volles Potenzial entfalten. Dafür braucht es zusätzliche gesetzliche Regelungen, insbesondere zur Heilkundeübertragung.[8]
Ein Blick über die Landesgrenzen zeigt, dass erweiterte Pflegekompetenzen erfolgreich in die Versorgung integriert werden können. In vielen Ländern haben Pflegekräfte eigenständige Versorgungsaufgaben übernommen und damit Versorgungsengpässe, insbesondere im ländlichen Raum, .[9]
Land | USA | Niederlande | Schweden | Finnland | Australien |
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Bezeichnung | Advanced Practice Registered Nurses (APRNs) | Nurse Practitioners (NP) | Advanced Registered Nurse Practitioner (ARNP) | Nurse Practitioners (NP) | Nurse Practitioner (NP) |
Ausbildung | Master- oder Doktortitel in der Krankenpflegepraxis zusätzlich zur entsprechenden Zertifizierung und Zulassung | Master für fortgeschrittene Pflegepraxis und Registrierung bei Verpleegkundig Specialist Register | Master- oder Doktortitel in der Krankenpflegepraxis zusätzlich zur entsprechenden Zertifizierung und Zulassung | Master für fortgeschrittene Pflegepraxis zusätzlich zur entsprechenden Zertifizierung und Zulassung | Master für fortgeschrittene Pflegepraxis zusätzlich zur entsprechenden Zertifizierung und Zulassung |
Typische Aufgaben erweiterter Pflegekräfte | Diagnostik, Medikamentenverschreibung, Anästhesie- und Schmerzbehandlung | Diagnostik, Therapievorschläge, Medikamentenverschreibung in bestimmten Bereichen | Medikamentenverschreibung, Verschreibung von Therapien und medizinischen Geräten, Überweisungen zu weiteren Gesundheitseinrichtungen | Gesundheitsberatung, Medikamentenverschreibung, Basisdiagnostik | Autonome Versorgung inkl. Medikamentenverschreibung, Diagnostik und Überweisung |
Dabei sind CHN im Ausland bereits fester Bestandteil des Gesundheitssystems. Auch Pilotprojekte wie das CoSta-Projekt im Hamburger Stadtteil Veddel zeigen erste Erfolge. Im vom BMBF geförderten Projekt CoSta entwickelt und testet ein Forscherteam der HAW Hamburg in Kooperation mit der Praxispartnerin Poliklinik Veddel das erste CHN-Konzept in einem sozial benachteiligten Quartier. Ein Erfolg liegt in der breiten Kompetenzaufstellung der CHN, die es ihr ermöglicht, flexibel auf unterschiedliche Bedarfe einzugehen. Gleichzeitig zeigt sich aber auch: Eine CHN kann nicht alles leisten. Abgrenzungsprozesse zu anderen Berufsgruppen wie Sozialarbeitern oder Ärzten sind essenziell und müssen in jedem Setting neu ausgehandelt werden.[15][16]
Fazit
Der Gesetzentwurf zum Pflegekompetenzgesetz aus dem Jahr 2024 stellt einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zu einer Stärkung der Pflegeberufe dar. Insbesondere die Community Health Nurses könnten künftig eine zentrale Rolle in der primärversorgenden und wohnortnahen Gesundheitsversorgung einnehmen. Spannend bleibt jedoch, ob das Gesetz in den kommenden Monaten tatsächlich verabschiedet wird – und ob damit ein echter Kompetenzzuwachs und mehr Verantwortung für Pflegefachpersonen einhergehen. Klar ist: Der Weg zu einer nachhaltigen und strukturell verankerten Umsetzung ist lang und erfordert nicht nur rechtliche Anpassungen, sondern auch einen kulturellen Wandel im Gesundheitswesen. Mit der neuen Bundesregierung stehen die Chancen auf Reformen gut – gleichzeitig bleibt abzuwarten, inwieweit der politische Wille besteht, die Pflege wirklich gleichberechtigt in die Gesundheitsversorgung einzubinden.
Über den Autor
Kristina Schröder
Durch meine vorangegangene Tätigkeit als Geschäftsführerin eines sektorübergreifenden Pflegebetreibers und mehr als sieben Jahre Erfahrung im Pflegesektor verfüge ich über umfassende praktische Einblicke, die es mir ermöglichen, Entwicklungen im Pflegemarkt praxisnah und fundiert für Sie zu analysieren und einzuordnen.